Von und mit: Quentin Lannes. Fotos: Greg Clément.
Dauer: 35min
Sprache: Französisch mit deutschen Übertiteln
Gespräch: um 22.15 Uhr in der Grossen Halle
Vor einigen Jahren fand Quentin Lannes auf dem Flohmarkt einen Stapel Fotos aus der Zwischenkriegszeit, auf denen immer wieder dieselbe junge Frau und ihre Familie vor einem grossen Haus zu sehen waren. Mit einem Programm, welches auch ohne Geo-Tag in der Lage ist, den Aufnahmeort eines Fotos zu bestimmen, ging er auf die Suche nach dem Ort und der Identität der Abgebildeten. Die Geschichte dieser Untersuchung zeugt von der Verbreitung analoger Fotografien in Raum und Zeit, parallel zur Verbreitung digitaler Bilder im Internet.
Bring a Friend – Ein kuratorisches Experiment
Die Krux bei der Festivalkuration ist (unter anderem), eine gute Balance zu halten zwischen Neuentdeckungen und bewährten Gruppen und Produktionen, die in der internationalen Szene bereits von Festival zu Festival tingeln. Beides – und natürlich auch das grosse Feld dazwischen – hat in der Programmation seine Berechtigung und die Mischung daraus ist das, was ein Festival wie AUAWIRLEBEN ausmacht. Das Aufspüren neuer Gruppen ist nicht immer einfach. Letztlich schaut man sich dann oft doch jene an, die von anderen Festivalleiter*innen oder Theaterdirektor*innen gefördert werden. Und Gatekeeper*innen bedienen Gatekeeper*innen.
Gleichzeitig verspürt das Organisationsteam vermehrt den Wunsch, mit «ihren» Ku?nstler*innen breiter und nachhaltiger zusammenzuarbeiten, als dass sie einfach ihr Gastspiel einladen, sie anreisen und dann gleich wieder abreisen. Sie möchten mehr von ihnen und ihrem Umfeld kennenlernen und ihnen wiederum die Arbeitsprozesse des Festivals mehr offenlegen. Dieses Jahr wurden die beiden Anliegen verbunden und drei der eingeladenen Gruppen gebeten, Ku?nstler*innen aus ihrem eigenen lokalen Umfeld für das AUA-Programm zu nominieren, welche noch nicht oft international getourt sind. Das Format heisst «Bring a Friend», denn es soll auch nicht vertuscht werden, dass im Theaterbusiness die persönlichen, privaten Verbindungen immer wieder eine Rolle spielen. So finden sich dieses Jahr drei spannende junge Produktionen aus Tallinn, Madrid und Lyon im Programm, welche von drei eingeladenen Gruppen kuratiert werden.
Alle drei «Bring a Friend»-Produktionen werden am Dienstag, 10. Mai gezeigt und schliessen mit einem Gespräch über das Format in der Grossen Halle ab, bei dem auch die nominierenden Ku?nstler*innen anwesend sind (Moderation: Mathias Bremgartner).
Einfach gesagt:
Drei Theatergruppen, die eingeladen wurden, durften je eine Gruppe aus ihrem Umfeld nennen. Diese wurden dann ebenfalls eingeladen. Alle Produktion werden an einem Abend gezeigt.
Zwei Optionen für den Abend sind möglich:
Parcours A
17.00 Uhr: For your nirvana
18.00 Uhr: No Gatekeeper Party im Festivalzentrum Waisenhausplatz
19.00 Uhr: Christiane ou la Maison
19.45 Uhr: Abendessen in der Grossen Halle (nicht im Ticket inbegriffen)
21.00 Uhr: Jinete Último Reino Frag. 2
22.15 Uhr: Gespräch in der Grossen Halle
Parcours B
18.00 Uhr: No Gatekeeper Party im Festivalzentrum Waisenhausplatz
19.00 Uhr: Christiane ou la Maison
19.45 Uhr: For your nirvana
21.00 Uhr: Jinete Último Reino Frag. 2
22.15 Uhr: Gespräch in der Grossen Halle
AUAWIRLEBEN 2022: THE PRIVATE MATTERS
Das behauptet der Claim des diesjährigen AUAWIRLEBEN Theaterfestivals. Er kündigt Privatangelegenheiten an und sagt gleichzeitig: Das Private spielt eine Rolle. Wieso etwas normalerweise privat bleibt, hat unterschiedliche Gründe. Einige Dinge wollen wir niemandem erzählen, andere Dinge können wir nicht erzählen und wiederum andere will jemand erzählen, doch niemand hört so richtig zu. Dass es heute mit den sozialen Medien und dem allgegenwärtigen Präsentationswahn keine Privatsphäre mehr gäbe, ist ein Trugschluss. Es wird nur öffentlich gemacht, was «instagrammable», also tauglich für Instagram ist: der sonnige Strandurlaub, das neue Röckchen an der Gartenparty, das Kätzchen auf dem Lammfell. Aber das, was wirklich beschäftigt, bleibt im Verborgenen: die pflegebedürftige Grossmutter, die Arbeiter*innen, die hinter den Konsumgütern stecken, der wahre Grund für die gebrochene Hand.
Es geht in den eingeladenen Produktionen also um Lebensumstände und Wohnverhältnisse, um Arbeitsbedingungen und Identitäten. Und immer spielt dabei das Individuum eine grosse Rolle, auch wenn die Gesellschaft das manchmal gerne ignoriert. Die abgebildeten Geschichten im AUA-Programm kommen aus Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Grossbritannien, Lettland, Moldawien, den Niederlanden, Slowenien, Spanien, der Ukraine und aus der Schweiz.
Entsprechend diesem Thema – und vielleicht auch den hygienischen Unsicherheiten dieser Zeit geschuldet – finden sich im diesjährigen Programm neben dem klassischen frontalen Theater viele Formate für ein jeweils kleines Publikum.
Jedes AUAWIRLEBEN ist ja gleich wichtig, aber so ein rundes Jubiläum nimmt das Leitungsteam trotzdem gern zum Anlass, um auf den Putz zu hauen. Dies ist die 40. Festivalausgabe, deshalb wollen sie nicht einmal, sondern zwölfmal, also täglich, 40 Minuten lang feiern – kurz, aber intensiv!
Neu ist, dass es nicht nur ein Festivalzentrum auf dem Waisenhausplatz gibt, welches tagsüber geöffnet ist, sondern auch einen Festival Club in der Grossen Halle fürs gepflegte Abhängen nach den Vorstellungen.
Wie immer wird versucht, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Zugang zum Festival für möglichst viele Leute gegeben ist.
Beim Verfassen dieses Textes herrscht in Europa seit wenigen Tagen Krieg. Die Gedanken des gesamten AUAWIRLEBEN-Teams sind bei all denen, die aufgrund der aggressiven Politik und Handlungen der russischen Regierung um ihr Leben und um das ihrer Liebsten fürchten müssen. Wir appellieren an den Bundesrat, gewaltsam vertriebene Menschen aus der Ukraine und anderen Kriegsgebieten unbürokratisch und mit offenen Armen aufzunehmen.